Dark Art and Graphic Novels
Er hatte sich dazu entschlossen, diese Nacht unter freiem Himmel zu verbringen. Im dämmrigen Orangerot hatte er hinter dem nächsten Waldstück einen kleinen wilden See entdeckt. Von ihm aus eröffneten sich zwischen felsigen Anhöhen hügelige Weiden und ein geschlängelter Bach. Es musste der Karstbach sein, der zum Teil auf seiner Karte verzeichnet war. Große blauglänzende und rote Libellen flogen rasant über das Ufer. Ein Zeichen für gutes Wasser.
Die Nacht würde schon bald hereinbrechen, also blieb nicht viel Zeit. Er setzte seine Maske ab, trat an den Bach heran und schüttete sich das kühle Nass mit beiden Händen ins Gesicht. Auch trank er so viel er konnte, füllte seinen Trinkschlauch und erhob sich, um einen Schutz gegen die schon hungrig summenden Stechmücken zu suchen. Bisher hatte er die Landschaft, das Gelände und das Gewässer intensiv in sich aufgesogen und der Pflanzenwelt wenig Beachtung geschenkt. Doch augenblicklich stach ihm der Mädesüß ins Auge. Er blühte an mehreren Stellen wolkenhaft zwischen dem sich im leichten Wind wiegenden Schilf. Die leichte Abendbrise hatte dem Torn den süßen, verlockenden Duft zuvor schon in die Nase geweht. Er war verführisch wie der Schoß einer jungen Geliebten. Mädesüß war zudem ein schmackhaftes Süßungsmittel, welches obendrein Schmerzen lindern konnte.
Die Dämmerung beeinträchtigte zunehmend seine Sicht, und er durchschritt eilig die Böschung. Er seufzte erleichtert, als er einen Busch wilder Minze entdeckte. Freudig zerrieb er die Blätter zwischen seinen Fingern. Was für ein belebender Geruch! Er rupfte sich einen Strauß an Minzzweigen und ging eilig auf einem Umweg in Richtung eines aus der Ferne ansprechenden Rastplatzes. Da entdeckte er völlig unerwartet Rainfarn an einem steinigen Eck, mit gelben aufragenden Blüten. Der beste Verbündete überhaupt gegen all die blutsaugenden Plagegeister und Getiere! Er kannte ihn zudem als Schutzpflanze vor Unwesen und Geistern in seiner nun fern liegenden Heimat.
Die effektiveste Anwendung in seiner Situation – und die kannte er von Kathor, dem wandernden Herbalisten – war, den Rainfarn auf einem kleinen Feuerchen qualmend zu verbrennen und mit angehaltenem Atem durch den wabernden Rauch zu steigen oder die Gewandung einzuräuchern. Die Essenz des Krauts verfing sich darin und hielt all das Ungeziefer für gewisse Zeit fern. Da der Torn aber schwer erschöpft war und zeitnah einen erholsamen Schlaf finden wollte, ließ er das Feuern sein und schnitt sich mit seinem gekrümmten Kräutermesser einen großen Strauß des Farns ab. Sein Geruch sprach flüsternd zu ihm und er konnte die schützende Aura bereits spüren.
Vorsichtig durch das grüne Chaos steigend, mit einem abgebrochenen Ast den Boden ertastend, lief er am Gewässer entlang zu dem aufragenden toten Baumriesen mit abstehenden gewundenen Wurzeln. Winzige geflügelte Gestalten surrten an seiner Kapuze vorbei, während die Silhouetten der Bäume sich gegen den rot-violetten Farbverlauf des Himmels abzeichneten. Beim gestorbenen Riesen angekommen, entledigte er sich seines Tornisters, Überwurfs und Stocks. Erleichtert ließ er sich auf einen Birkenstamm nieder und atmete die sich zunehmend abkühlende Luft ein. Der Torn spürte förmlich, wie die Anstrengung aus seinen Gliedmaßen entfloss und von ihm abfiel.
Eingebettet in die Landschaft, durchströmte ihn Leichtigkeit. Innere Ruhe im schwindenden Dämmerlicht.
Kurz darauf breitete er an geschützter Stelle seine Wolldecke aus. Das Zirpen im Gebüsch begleitete seine Handgriffe, als er den frischen Rainfarn um sein verstecktes Lager auslegte. Außerdem bestückte er seinen frisch aufgefüllten Trinkbeutel mit einigen der Minzstängel und rieb seine freiliegenden Körperteile mit den Blättern ein. Die Minze war als kühlender Verbündeter zur Mittagszeit im Trinkwasser besonders hilfreich. Nun griff er zum Rainfarn und legte die Ruten in einem ovalen Schutzkreis um seine Decke aus. Damit konnte er die kriechenden, krabbelnden und fliegenden Getiere fern halten. Nur so würde er einen erholsamen Schlaf finden und nicht wahnsinnig werden. Endlich geschützt vor den Blutsaugern, bettete er sich auf seine Decke, hüllte sich in seinen Überwurf ein und atmete tief durch. Langsam wurde das Sternenmeer sichtbar, während sich die Baumkronen nur als tiefschwarze Silhouetten davor abzeichneten.
Sein Blick wanderte langsam umher, als ihm unvermittelt etwas einfiel: Die Zweige des Beyfusses in seinem Tornister! Am Morgen war ihm dieser Verbündete nach langer Zeit unerwartet üppig begegnet. Aromatisch, mit bitterem Geschmack und sanfter Art. Der Magier öffnete den Tornister, welcher in Griffweite am Birkenstamm lehnte und mit einer Schnur an seinem Arm befestigt war. Seine Finger wühlten und griffen nach den Stücken der Ruten, um seinen Kopf darauf zu betten. Beyfuss war eines der besonderen Kräuter. Lange Traditionen. Wiederkehrende Rituale. Und gleichwohl eine persönliche Verbindung zu jenen, die sich obendrein danach sehnen. Als Schutzkraut gegen Unwesen und Geister wird es ebenso wie der Rainfarn schon immer in Häusern und Ställen als Räuchermittel verwendet. Zur Sommersonnenwende werden die Leiber der Tanzenden umschnürt oder Kronen geflochten. Zum Ende der Feuerzeremonien werfen anschließend alle den Beyfuss in die Flammen und übergeben damit all ihre Lasten und Anfeindungen dem Element der Reinigung. Dass Beyfuss in anderen Traditionen auch in hoher Dosierung verwendet wird, um Klarträume zu ermöglichen, hatte der Torn erst vor kurzem von ein Paar reisenden Oneironauten erfahren. Auf die Frage, wohin sie denn reisen würden, antworteten sie nur schattenhaft: “Wir haben kein Ziel, wir folgen den Zeichen der Welt und den Hinweisen der Träume”.
Frösche quakten und Grillen zirpten, während der tief ein- und ausatmete. Die Kälte kroch langsam durch das Dickicht um seinen eingebetteten Leib. Die kraftvollen Schwaden der Kräuter schlängelten sich in Mund und Nase des Ruhenden. Ätherische Durchdringung und gespiegelter Sternenglanz. Den Kopf auf das weiche Bett aus Beyfuss gebettet, zeichnete er abschließend mit warmen Fingern die Sigille des Unentdeckten in den dunklen Himmel. Als Schutz vor potenzieller Entdeckung durch Menschen, Birkenvolk oder Wildtiere reichte dieser niedrigere Glyphenzauber schon aus. Denn andere Rassen oder gefährliche magische Kreaturen gab es hier in der Gegend anscheinend nicht. Den flimmernden Feenwesen, schweigsamen Wassergeistern und nächtlichen Waldtieren überließ er friedsam den Rest der Nacht. Sein inneres Gleiten in einen Zustand der Visionen durch das Zwielicht der Wahrnehmung ließ ihn anderes spüren. Er fühlte sanfte Berührungen von weichen Blättern am gesamten Leib, obwohl er doch angekleidet war. Dann der alles übermannende Geruch! Er konnte ihn sogar schmecken und die intensivierende Präsenz nicht leugnen. Alle diese verstreuten Beyfussgruppen in der landschaftlichen Ferne waren allesamt nur viele Gesichter einer einzigen, mächtigen Entität und Essenz. Er erhob seine Arme im inneren Auge, griff langsam in den wirbelnden Wust und sah, wie durch trübes Wasser, eine glühende Glyphe. Pulsierende Schwärze wurde durch ein sanftes, bestimmtes Leuchten verdrängt…
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